Mit „Bienenstrom“ blüht das Land
Die Insekten in unserer Landschaft sterben womöglich schneller als unserer Politik eine Wende in der Agrarförderung gelingt. Deshalb setzt der DBIB auch auf praktische und eher„politikfreie“ Lösungen. Eine besonders innovatives Beispiel ist der „Bienenstrom.
Nicht nur den Honigbienen fehlt das Trachtangebot in der Kulturlandschaft. Ohne eine Blütenvielfalt kann es auch keine Artenvielfalt bei den Bestäubern geben. Von deren Dienstleistungen profitieren aber nicht nur der Landwirt, sondern auch viele andere Bewohner der Agrarlandschaft.
Auch die Bienen selbst dienen als Nahrungsquelle. Durch die große Anzahl an Individuen, die ein Bienenvolk pro Jahr hervorbringt, dient es einer Vielzahl von Insektenfressern als wichtiger Bestandteil der Nahrungspalette und trägt so zu deren Überleben bei. Jedes Bienenvolk produziert pro Jahr rund 60 Kilo Biomasse, die im Flugkreis des Volkes wie-
der in den Nährstoffkreislauf einfließen.
So finden wir in der Nähe von Bienenständen signifikant mehr Ameisennester und mehr Singvögel. Gerade Jungvögel sind auf tierisches Eiweiß angewiesen. Dabei spielt die Honigbiene eine entscheidende Rolle. Diese Zusammenhänge sind Imkern und Naturschützern seit langem bekannt. Als Imker haben wir vielleicht zuerst eine breite
Öffentlichkeit darauf hinweisen können, dass die Situation in unseren Agrarökosystemen aus dem Ruder zu laufen droht. Daher rangierte das Thema ursprünglich unter der Überschrift „Bienensterben“. Inzwischen ist die allgemeine Wahrnehmung aber beim „Insektensterben“ und beim „Artensterben“ angekommen.
Aber auch der Landwirt ist in diesem System eine bedrohte Spezies. Wenn man die Entwicklungskurven der Insektenbiomasse oder der Artenvielfalt mit jener der Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe in vielen Bundesländern übereinanderlegt, sind diese nahezu deckungsgleich. Die bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft prognostiziert eine weitere
Halbierung der Betriebszahl in Bayern auf etwa 50.000 bis 2030. In anderen Regionen mit bäuerlichen Familienbetrieben sind die Aussichten nicht besser. Wir müssen also Wege finden, sowohl unsere bäuerliche Landwirtschaft als auch die Biodiversität in der Kulturlandschaft zu erhalten.
Im derzeitigen politischen Umfeld ist nicht mit dem notwendigen Systemwechsel zu rechnen. Daher suchen wir als Berufsimker auch nach „politikfreien Lösungen“. Wir haben eine Reihe von Projekten für eine bienenfreundliche Landwirtschaft gemeinsam mit Landwirten und anderen Partnern erarbeitet. Dabei bilden gerade wir Imker ein wichtiges
Bindeglied zum Verbraucher, denn wir vermarkten unsere Produkte zu einem
hohen Prozentsatz direkt. Auf dem Wochenmarkt sind häufig die ersten Fragen „Wie geht es Ihren Bienen?“ und „Was kann ich für die Bienen tun?“. In diesem Moment haben wir die Chance, Unterstützung für Landwirte zu organisieren, die bienenfreundlich produzieren.
Seit 2009 arbeiten wir bereits erfolgreich mit Milchbauern unter der Marke „Sternenfair“ zusammen. Eine bienenfreundliche Produktion muss gerade auch die Wildbienen mit einbeziehen. Aber es ist uns auch sehr wichtig, dass wir ganzheitlich denken und viele Bereiche mit einbeziehen. Zum Thema Artenvielfalt haben auch die Jäger viel zu sagen, die dramatische Rückgänge beim Niederwild dokumentiert haben.
Ein besonders gutes Beispiel für unseren Ansatz ist der Bienenstrom. In Zusammenarbeit mit den Stadtwerken Nürtingen und Landwirten auf der Schwäbischen Alb ermöglichen wir es Stromkunden bundesweit, durch Anbieterwechsel jeweils eine Fläche zum Blühen zu bringen, die in der Regel größer ist als der eigene Garten. Im und um das Biosphärengebiet Schwäbische Alb werden Wildpflanzen zur Energiegewinnung in Biogasanlagen ausgesät. Diese blühenden Wildpflanzenmischungen dienen als Alternative zum Mais und schaffen damit neue Lebensräume für Insekten und Wildtiere. Solche Blühflächen werden seit vielen Jahren gleichermaßen von Imkern und Naturschützern als Problemlösung angepriesen. Neu ist jedoch die Art und Weise, wie die Wirtschaftlichkeit dieser Flächennutzung gewährleistet wird. Die Kunden von Bienenstrom.de ermöglichen, dass die am Projekt beteiligten Landwirte einen finanziellen Ausgleich für die Ertragsminderung gegenüber den sonst üblichen Mais-Monokulturen erhalten.
Inzwischen hat dieses Projekt so viel Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit, dass sich zahlreiche weitere Regionen gemeldet haben, die das Konzept ebenfalls umsetzen möchten. Die Struktur für die Einbeziehung weiterer regionalere Energieversorger haben wir in einem Workshop am Rande unserer Imkertage in Celle bereits erarbeitet. Je mehr Stromkunden wir bundesweit gewinnen können, desto mehr Regionen mit den dortigen Landwirten können einbezogen werden. Natürlich steht nicht gleich nach dem Wechsel zum Bienenstrom am nächsten Tag eine Blühfläche vor der Tür. Es gilt das Prinzip „Bienenstrom-Karma“. Karma bedeutet, dass jede Handlung unweigerlich eine Folge hat, auch wenn diese nicht sofort eintritt. Die Chance, dass sich auch in der eigenen Region etwas verändert, steigt je mehr Kunden wir gewinnen.
Wer als Verbraucher in Bezug auf Nachhaltigkeit schon einen Schritt weiter ist und ein Elektroauto fährt, kann nicht nur daheim mit Bienenstrom laden. Als Bienenstromkunde kann man auch die derzeit kostenfreie Ladekarte der Stadtwerke Nürtingen GmbH erhalten, damit europaweit im Netz von Ladenetz.de sein E-Mobil „betanken“ und so noch mehr Flächen zum Blühen bringen.
Denn die Fläche, die jeder einzelne Stromkunde zum Blühen bringen kann, errechnet sich aus den verbrauchten Kilowattstunden. Ein Haushalt mit vier Personen verbraucht etwa 5000 kWh pro Jahr und bringt mit Hilfe vom Bienenstrom rund 700 Quadratmeter zum Blühen. Das ist etwa doppelt so viel Fläche wie ein deutscher Durchschnittsgarten. Selbst wenn ein Gartenbesitzer seine gesamte Gartenfläche in Bienenweide verwandeln würde, was mit viel Arbeit, Kosten und natürlich Verzicht auf den Zierrasen verbunden wäre, könnte er mit dem Anbieterwechsel einen viel größeren Effekt erzielen.
Viele Verbraucher versuchen im eigenen Garten etwas für die Bienen zu tun, und das ist auch gut so. Allerdings haben wir das größte Problem nicht in den Siedlungsgebieten, sondern in der Agrarlandschaft. Mit dem Anbieterwechsel zum Bienenstrom kann jeder Haushalt, unabhängig davon ob er selbst überhaupt einen Garten hat, etwas für die Bienen und die Artenvielfalt tun und zwar in der Agrarlandschaft, wo die Blüten am meisten fehlen.
Je mehr Stromkunden wir für Bienenstrom gewinnen können, desto mehr Regionen können wir auf diese Weise zum Aufblühen bringen. Wer also nicht auf politische Wunder warten will, hat hier eine wirksame Möglichkeit, positive Spuren in der Agrarlandschaft zu hinterlassen.
Zum Projekt: