Brühl et al. (2021): Direkte Pestizidbelastung von Insekten in Naturschutzgebieten in Deutschland.
Pestizidkontamination von unter Naturschutz stehenden Insekten in Deutschland
Mit der Malaise-Fallen-Methode wurde weltweit zum ersten Mal eine Pestizidbelastung direkt an artenreichen Mischproben von Insekten im Zentrum europäischer Naturschutzgebiete nachgewiesen.
Die Wissenschaftler der Universität Koblenz-Landau unter der Leitung von Dr. Carsten Brühl untersuchten den Alkohol, in dem die Insekten vor Ort konserviert wurden, auf eine Auswahl von 92 Pestizidwirkstoffen und konnten darunter insgesamt 47 verschiedene Pestizide nachweisen: In 21 untersuchten Schutzgebieten aus verschiedenen Regionen Deutschlands wurden durchschnittlich 16 Pestizide pro Gebiet und maximal 27 verschiedene Pestizide an einem Standort nachgewiesen.
Diese Untersuchungen werden im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten interdisziplinären Forschungsprojekts „Diversität von Insekten in Naturschutzgebieten“ (DINA) durchgeführt: www.dina-insektenforschung.de
Die Studie ist hier veröffentlicht: www.nature.com/articles/s41598-021-03366-w
Die standardisierte Fangmethode für den Insektenfang – sogenannte Malaisefallen – ist durch Forschungsprojekte der Entomologischen Gesellschaft Krefeld international bekannt geworden. Es handelt sich dabei um dieselbe Technik, die in den letzten Jahrzehnten den gravierenden Rückgang der Insektenbiomasse und der Artenvielfalt auch in Schutzgebieten nachgewiesen hat. Bei diesem Verfahren werden Insekten, die sich um den Fallenstandort bewegen, in einer zeltartigen Konstruktion gefangen und direkt vor Ort in Alkohol konserviert. Dieser Alkohol im Inneren der Fallenflasche ist auch ein Lösungsmittel für viele Chemikalien, mit denen die Insektenkörper in direktem Kontakt standen.
Besonders hervorzuheben ist, dass alle untersuchten Naturschutzgebiete „Special Areas of Conservation (SAC)“ und Teil des Natura 2000-Netzes auf dem Gebiet der Europäischen Union mit europäischen Schutzzielen sind. Die Biotope, in denen diese pestizidbelasteten Insekten gefangen wurden, sind sehr wertvolle Lebensräume, die nach dieser EU-Richtlinie streng geschützt sind. Von orchideenreichen Kalkmagerrasen bis hin zu seltenen Silikatrasen reicht hier die Palette der nach EU-Recht geschützten Biotope, deren charakteristische Insektenarten Pestizide tragen.
Dazu gehören Insektizide, die eigentlich dazu dienen, eine Vielzahl von Insekten mit einem breiten Wirkungsspektrum abzutöten, und die in geringen Konzentrationen deren Fitness beeinträchtigen können. Herbizide, die Pflanzen dezimieren, aber je nach Wirkstoff auch direkt oder indirekt negative Auswirkungen auf bestimmte Insekten haben können, ebenso wie bestimmte Fungizide. Über die kombinierte Wirkung ganzer Cocktails verschiedener Pestizide und ihrer Metaboliten auf Insekten ist viel zu wenig bekannt. In der Regel werden bei der Zulassung von Pestiziden nur einzelne Wirkstoffe geprüft.
Um zu verstehen, wie es zu einer solchen direkten Kontamination inmitten „hoch“ geschützter Gebiete kommt, bietet eine räumliche Analyse des Instituts für ökologische Raumplanung unter Leitung von Dr. Gotthard Meinel erste Anhaltspunkte: Obwohl es sich bei den 21 Untersuchungsstandorten um ausgewählte Spitzenlagen deutscher Naturschutzgebiete handelt, liegen sie inmitten einer Agrarlandschaft mit konventionell pestizidbehandelten Ackerflächen ohne Pufferzone an ihren Grenzen oder pestizidbehandelte Felder befinden sich sogar mitten in diesen Schutzgebieten.
Der ermittelte Radius zu landwirtschaftlichen Flächen, der bei dieser räumlichen Analyse am besten mit dem Nachweis von Pestiziden auf Insekten korrelierte, lag bei etwa zwei Kilometern. Dies ist also ein erster Hinweis auf die Umgebung, in der eine ausreichende, seriöse Risikoanalyse pro Standort und ein Risikomanagement mit entsprechenden Maßnahmen gemäß dieser neuen Veröffentlichung stattfinden sollte.
Dazu äußern sich die Co-Autoren vom Entomologischen Verein Krefeld, Thomas Hörren und Dr. Martin Sorg: „Auch die aktuelle Veröffentlichung wirft eine ganze Reihe von Fragen auf. Zum einen hinsichtlich ausreichender qualifizierte, interdisziplinäre Naturschutzforschung: Warum sollen solche Daten erst im Jahr 2021 aufgedeckt werden? Noch mehr für eine vernünftige, wissenschaftsbasierte und zielgerichtete Landschaftsplanung?
Bis heute ist eine biodiversitätsfördernde Landwirtschaft ohne Pestizideinsatz sowohl innerhalb als auch an der direkten Grenze zu wertvollsten Schutzgebieten eine Ausnahme. Um diese Ausnahme in eine notwendige Regel zu verwandeln, bedarf es geeigneter Konzepte und Förderprogramme für eine angepasste landwirtschaftliche Bewirtschaftung, die heute noch nicht ausreichend vorhanden sind. Dies erfordert selbstverständlich eine Neuausrichtung der räumlichen Landschaftsplanung auf wissenschaftlicher Grundlage. Zunächst muss die Planung auf der Grundlage von Modelluntersuchungen die linearen Schutzgebietsgrenzen zu effektiven, gestaffelten Schutz- und Pufferzonen „reformieren“ und dabei Risikofaktoren interdisziplinär berücksichtigen. Das einfache, populäre „überall gleich“-Prinzip – manchmal auch McDonaldisierung genannt – kann nicht auf den dringend notwendigen Schutz der biologischen Vielfalt innerhalb der wichtigsten Naturschutzgebiete abzielen. Vielmehr toleriert es fortschreitende, regionale Artenverluste als teilweise irreversible Biodiversitätsschäden. Denn die Schutzgebiete sind in den meisten Fällen die Orte, an denen sich die letzten Populationen der regional oder national vom Aussterben bedrohten Insektenarten befinden. Es sind also die Orte des Biodiversitätsschadens, die wir als Aussterbeereignisse künftigen Generationen im wahrsten Sinne des Wortes „nachhaltig“ hinterlassen werden, wenn kein wirksamer Schutz etabliert wird.“