Werden Wildbienen missbraucht?

Taubenskabiose mit Honigbiene, Schmalbiene und Schwebfliege
Auf der Skabiose tummeln sich gleich drei Insekten zugleich: die winzige Schmalbiene, eine Honigbiene und eine Schwebfliege ist schon im Anflug. Foto: Janine Fritsch

Die wahre Ursache für Insektensterben

Immer wieder liest man in den Medien Imker und ihre Honigbienen verdrängen und schaden Wildbienen. Obwohl es bis heute keine glasklaren wissenschaftlichen Belege für diese Behauptung gibt, veröffentlichen Organisationen wie die Deutsche Wildtierstiftung „aufgrund von Indizien“ diese These. Dabei ignorieren sie einfache Fakten

Von Dipl.-Biol. Janine Fritsch

Das immer wieder gezeichnete Bild ist klar: Viele starke, domestizierte Honigbienen schubsen wenige, kleine Wildbienen von immer kargeren Blühflächen.

Obwohl es bis heute keine wissenschaftlich stichhaltigen Belege gibt, wird dieses Bild immer wieder von Organisationen wie der Deutschen Wildtierstiftung in die Öffentlichkeit getragen.

Friedliche Koexistenz der Bienenschwestern

Biologische Tatsache aber ist: Seit Jahrmillionen haben sich Wild- und Honigbienen in Koexistenz gemeinsam entwickelt. Sie sind miteinander verwandt, hatten immer schon unterschiedliche Lebensstrategien entwickelt und leben beide noch. Und noch mehr: Auch die imkerlich gehaltene Honigbiene bleibt als Insekt immer ein wildes Tier, das es lange vor den Imkern gab.

Böse „Indizien“ der Wildtierstiftung sind z. B. dass sich beide „dieselbe Nahrung, nämlich Pollen und Nektar von Blütenpflanzen teilen“ oder die Honigbiene auf der Blüte „Krankheitserreger übertragen könnten“. Beides ist wahr. Und das schon seit Jahrtausenden. Denn Insekten und Blüten sind eine Koevolution. Sie gibt es nur miteinander. Deshalb tummeln sich auch Käfer, Schwebfliegen und viele andere Insekten auf den Blüten, fressen dort und bringen ihre Krankheitserreger mit. Aber auch diese Insekten leiden alle unter dem Schwund ihrer Art!

Was die Bienenschwestern betrifft: Sie sind so schlau, sich ihren Lebensraum räumlich und zeitlich aufzuteilen. Honigbienen fliegen als Generalisten weite Strecken und suchen dabei vor allem Massentrachten – nicht nur landwirtschaftliche, wie Raps, sondern als ursprüngliche Waldinsekten – und wen wunderts – anders als ihre wilden Schwestern vor allem auch Bäume. Hier holen sie in großem Stil Honigtau von Läusen und Baumsäfte von Blättern. Kräuter und Stauden interessieren die Honigbienen in Wahrheit weniger. Das ist eher die Spezialität der Wildbienen, die nicht weit fliegen und lieber nah bei ihrem Nest bleiben.

Gelbbindige Furchenbiene auf Taubenskabiose.Foto: Janine Fritsch
Auch die gelbbindige Furchenbiene findet auf der Taubenskabiose noch genug…Foto: Janine Fritsch

Um 1900: Viermal mehr Honigbienen als heute

Das Argument, dass mit dem Imker, der viele Völker auf einmal hält, die „Honigbienendichte nun aber zu groß“ geworden sei und deshalb das Problem aufträte, zieht ebenfalls schlecht. Denn: Wir haben in Deutschland mit knapp einer Million Bienenvölker heute gerade mal ein Viertel der Menge, die vor 125 Jahren gehalten wurde. Warum gab es also um das Jahr 1900 mit damals 4 Millionen Bienenvölkern die Diskussion um die Konkurrenz nicht?

Die Stiftung argumentiert u. a. auch, dass im „späteren Jahresverlauf eine Überlappung bei der Ressourcennutzung“ von Honig- und Wildbienen „wahrscheinlicher“ würde, wenn sich nach Abblühen der Massentrachten die Honigbienen den kargeren Wildbienen-Trachten zuwenden. Auch das wird bei näherem Hinsehen fraglich. Denn auch zeitlich haben sich Wild- und Honigbienen die Gebiete schwesterlich geteilt. Gerade in den letzten Jahren sehen wir außerdem mit den Greening-Maßnahmen der Landwirte verstärkt Zwischenfrüchte, die im Herbst in großen Mengen bis spät in den November hinein blühen wie Phacelia in Lila, Senf in Gelb oder Ölrettich in Weiß und Rosa. Alles Massentrachten, die Honigbienen auch an warmen Spätherbsttagen noch zum Ausflug anziehen. Wildbienen sieht man nun aber kaum noch, denn ihre Zeit ist vorbei. Die meisten fliegen bis August, viele wie die Frühlings-Pelzbiene bis Anfang Juni oder andere wie die Seidenbiene sogar nur bis Anfang Mai. Allein diese biologisch unterschiedlichen Entwicklungs- und Flugzeiten entzerren auf ganz natürliche Weise eine mögliche Nahrungskonkurrenz. Sehr zum Ärger der Wildtierstiftung?

Honigbienen oder eher Pestizide, Monokultur und Flächenfraß?

Zahlreiche Metastudien haben die Nahrungskonkurrenz näher unter die Lupe genommen, wie z.B. WOJCIK, der 81 Arbeiten verglich, die Fitness als Kriterium für den Nahrungswettbewerb heranzogen. Vor allem bei Hummeln – wohlgemerkt auch Generalisten! – fanden sie mögliche Überschneidungen in der Ressourcennutzung. Weil aber Wechselwirkungen zwischen Honig- und Wildbienen extrem komplex sind und von der Vielfalt des Pflanzenbestandes, der Wildbienenart, ihrer Lebensweise, Klima, Bodenart und den menschengemachten Einflüssen abhängen, sind alle Autoren sehr vorsichtig in der Formulierung ihrer Ergebnisse: Eine allgemeine Aussage, dass die Honigbienen den Wildbienen Nahrung und Lebensraum wegnähmen, treffen sie nicht. Einige Wissenschaftler betonen zudem, dass der Nachweis einer Nahrungskonkurrenz zunächst gar kein Beleg dafür sei, dass ihre Fitness, also das Überleben und die Fortpflanzung beeinträchtigt oder gefährdet ist. Hier muss man viel genauer hinschauen, denn genau diese Auswirkungen auf Wildbienenpopulationen sind nach Aussagen vieler Autoren überhaupt noch nicht geklärt.

Auch ein Vergleich von 146 Studien von MALLINGER (2017) ergab erhebliche Unterschiede in den Ergebnissen. Insbesondere zeigten bei der Konkurrenz und bei Pflanzengemeinschaften einige Studien „keine oder sogar positive Auswirkungen von bewirtschafteten Bienen! Viele Studien konnten überhaupt keine direkten Beziehungen zwischen Honig- und Wildbienen ermitteln.

Fest steht: Die Nahrungsüberlappung kann natürlich in bestimmten Situationen schlecht für Wildbienen sein. Aber – wie immer in der Natur – sie ist niemals die einzige Ursache. Von allen Experten werden die Umweltbedingungen wie Bodenversiegelung mit Verlust an Nistmöglichkeiten, Pestizideinsatz und allgemein die schwindende Artenvielfalt als erste Gefahr für Wildbienen benannt – sogar die Wildtierstiftung kennt und benennt sie!  Auch wenn das Bild von „ich nehme dir was weg“, einfacher zu verstehen ist, als die vielschichtigen wirklichen Ursachen des Insektenrückganges – es wäre mehr als unseriös, ja sogar fahrlässig, allein darauf abzustellen.

Für lohnenswerte Massentrachten wie Raps fliegen Honigbienen kilometerweit. Foto: Janine Fritsch
Für lohnenswerte Massentrachten wie Raps fliegen Honigbienen kilometerweit. Foto: Janine Fritsch

Opfer Wildbiene – nur ein Ablenkungsmanöver?

Der Verdacht, dass die Diskussion um die vermeintliche Konkurrenz der Bienenarten nur davon ablenken will, dass der Mensch mit seiner Geldgier beim Verkauf von Pestiziden oder rücksichtsloser Landnutzung der tatsächliche Konkurrent auf dieser Bühne ist, drängt sich mittlerweile massiv auf! Denn, dieselbe Argumentationswelle mit den Wildbienen als Opfer sehen wir in rhythmischer Regelmäßigkeit seit den 80er Jahren. Es scheint, dass Imker und Naturschützer in ihren Interessen bewusst gespalten und gegeneinander aufgewiegelt werden sollen. Getreu nach dem alten Prinzip „Teile und Herrsche“. Für den Imker als Praktiker, der täglich die Natur beobachtet, sieht die gelebte Realität völlig anders aus. Wir beobachten wilde und domestizierte Bienen in schöner Eintracht auf den Blüten, niemand wird hier weggeschubst oder verdrängt, wir pflanzen insektenfreundliche Blühmischungen und setzen uns in großem Stil für die Artenvielfalt und gegen den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln ein. Alle unsere Maßnahmen dienen immer allen Insekten.

Wem nützt der Streit?

Bernhard Heuvel, Vizepräsident des Deutschen Berufs- und Erwerbsimkerbunds (DBIB), stellt sich schon länger die Frage: Wem nützt es, wenn zwischen Imkern und dem Naturschutz Zwietracht gesät wird? Auf der einen Seite macht man Werbung mit der Honigbiene auf Supermarktprodukten für „Nachhaltigkeit und Naturschutz“, auf der anderen Seite macht man Imkern das Leben schwer. „Vergeblich versucht unser Berufsverband seit Mai dieses Jahres einen Termin bei der Deutschen Wildtierstiftung zu bekommen.“ Bisher keine Reaktion. Die mit 100 Millionen Euro finanzstärkste Stiftung im Bereich des Naturschutzes, gibt sich nach außen besonders insektenfreundlich, macht aber politisch massiv Druck gegen Imker und Honigbienen. „Das muss aufhören“, sagt Bernhard Heuvel. „Wir werden weiter das Gespräch suchen, um die Hintergründe zu erfahren.“

In der Regel ist es der Weg des Geldes, der hinter solch widersprüchlichen Verhaltensweisen steckt und dem Versuch, Interessengruppen zu spalten oder zum Feind zu erklären. Der Sache nützt es nie. Nur gemeinsam werden wir wirkliche Erfolge erzielen.

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03.11.2023 / 7.700 Zeichen

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Autor: Janine Fritsch, info(at)redaktion-aufdenpunkt.de, 0172 8246210
Im Auftrag: Deutscher Berufs- und Erwerbsimkerbund e. V. (DBIB), presse(at)berufsimker.de">presse(at)berufsimker.de

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