Von Sybilla Keitel
Der Imker sagt, die Blattläuse sind verschwunden. Das sagt er nicht zum ersten Mal. Ob das überhaupt jemanden interessiert? Nicht jeder ist ein Freund der Blattläuse. Die Laus hat ein schlechtes Image und muss für manche Missfallensbekundung herhalten wie auch das Schwein: lausig kalt, Lausebengel, mich laust der Affe. Ich denke dabei an die Kopfläuse im Kindergarten plus Prozeduren mit Goldgeist: Ungeziefer, kann weg. Kopfläuse jedenfalls.
Laut Wikipedia sind Läuse seit 200 Millionen Jahren auf der Erde, insgesamt gibt es 5000 bekannte Arten von Blattläusen, 800 davon in Mitteleuropa. Irgendeine Funktion werden sie also haben; ohne sie wäre der Mikrokosmos vermutlich empfindlich gestört. Der Imker sagt, sie fehlen bei uns mittlerweile auf fast allen Bäumen. Verschwunden sind z.B. die Fichten- und Eichenblattlaus oder der sogenannte Lindenblattfloh. Als Indikator nennt er die immer kleiner werdenden Ameisenhaufen der Roten Waldameise. Diese laufen die Stämme der Bäume bis zu den Blättern hinauf und ernähren sich vom Honignektar, den Blattläuse aus den Blättern heraussaugen, Nahrungsquelle für Insekten, Marienkäfer, Bienen. Den Meisen dienen ihre Eier als Futter. Die meisten von uns wissen über diese Symbiose kaum Genaueres, aber der Imker schon, der sich um seine Bienen sorgt. Vielleicht erinnert sich der eine oder andere von euch, dass ich schon vor Jahren seinen Blattlaus-Alarm verbreitet habe, hiermit lege ich nach.
Wieso verschwinden die Blattläuse ? Unser Dorf ist umgeben von agrarindustriell bewirtschafteten Äckern, nah an einem großen Waldgebiet. Trotz der sichtbaren Anzeichen eines verheerenden Artensterbens (Insekten- und Vogelschwund, Amphibien mittlerweile an der Nachweisgrenze etc.), trotz nachgewiesener Kontamination der Feldsölle und Baumrinden mit Ackergiften, trotz des Dahinsiechens der Bäume – und trotz der betroffenen Menschen, die an den Ackerrändern wohnen: es wird weitergespritzt, so lange es geht, ungeachtet des öffentlichen Alarms. Das Gift erreicht nicht bloß die Ziel-Organismen, sondern seine Abdrift trifft alle Lebewesen – über die Nahrung, die Luft, das Wasser. Wie die Natur, zum Beispiel die winzigen Bodenlebewesen, dabei aus dem Gleichgewicht gerät, bemerken wir nicht. Was wir sehen können, ist das allmähliche Verschwinden größerer Tiere wie das der Frösche, Feldhamster, Rebhühner etc. Und die ganz großen, das sehen wir auch, welche die vergifteten Pflanzen fressen, sind irgendwie krank, zu sehen beispielsweise am löcherigen Fell des Rehwilds. Wildfleisch darf inzwischen nicht mehr als „Bio“ verkauft werden, weil die Tiere zu oft auf den frisch gespritzten Feldern fressen und die Gifte aufnehmen. Was uns Menschen betrifft: sie berichten über Atemwegs – sowie Magen-Darmerkrankungen, Parkinson und eine wirklich erschreckende Häufung von Tumoren. Letzteres schreit geradezu nach einer Erforschung, um auch hier dem Verdacht einer Kausalität nachzugehen wie bei den Insekten. Leider ist das einigermaßen chancenlos: da kriegt man es umgehend mit den großen Agrarkonzernen zu tun inklusive Androhung einer Verleumdungs- und Unterlassungsklage. Ähnlich ist es damals mir passiert mit der Firma Steinhoff Holding, die hier die Äcker aufgekauft hat und mit viel Pestiziden maximale Erträge erwirtschaften lässt, um mit dem Land an der Börse zu spekulieren. Aktuell sehen wir, wie es Valérie Murat ergeht, die jetzt 125 000 Euro zahlen soll, weil sie es gewagt hat, die Pestizidkontamination der berühmten Bordeauxweine zu veröffentlichen. Oder den Menschen, die gegen die Vergiftung der Apfelplantagen in Mals/Südtirol kämpfen und von den wütenden Bauern plus Landeshauptmann vor Gericht gezerrt werden. An das heiße Eisen „Krebs“ will daher keiner ran, wer sollte einen auch dafür bezahlen? Außerdem wäre es viel Arbeit, hier etwas nachzuweisen, da zwischen der Exposition des Giftes und der Erkrankung Jahre vergehen. Die Agrarkonzerne wissen sich also dauerhaft auf der sicheren Seite, so dass ihr Teufelszeug, mit dem sie die Welt vergiften, weiter verkauft und gespritzt werden darf. Es scheint nahezu aussichtslos, sie für die Folgen zur Verantwortung zu ziehen.
Die Blattläuse sind verschwunden, sagt der Imker: betrifft uns das? Blattläuse haben keine Lobby wie etwa die Bienen. Denn wenn die Bienen sterben, so heißt es, dann stirbt auch der Mensch: „Wenn wir sterben, nehmen wir euch alle mit“, so kann man es lesen auf den Plakaten der Imker. Über Bienen gibt es viele niedliche Kinderbücher, sie erhalten sogar Namen, Blattläuse eher nicht, „Bertil, die Blattlaus“ taugt weder als Erzählstoff noch zum Kuscheltier. Nun ist sie verschwunden, was noch nicht mal eine Zeitungsmeldung wert ist, und dass sie uns dabei alle mitnimmt, erscheint zumindest verstiegen. Mein Verdacht allerdings ist, dass diese Armada von Kleinstlebewesen genauso wenig entbehrlich für die Nahrungskette ist wie etwa die Bienen.
Mein Fazit: Lob der Blattlaus! – Und rette sich wer kann vor Ackergiften.
Über die Autorin: Sybilla Keitel ist eine Künstlerin aus Berlin, engagierte Naturschützerin, hat zweimal einen Klimapreis gewonnen, wohnt seit 22 Jahren in Jakobshagen, hat die Bürgerinitiative „Kontra Industrieschwein“ mitgegründet und hat diesen Artikel auf Impuls eines befreundeten Imkers geschrieben. Sie kämpft seit vielen Jahren gegen das Bienensterben und den Einsatz von Pestiziden und ist Co-Autorin und Illustratorin einer ausleihbaren Wanderausstellung gegen Ackergifte: www.irrweg-pestizide.de, die sie zusammen mit der Ökotoxikologin Dr. Anita Schwaier konzipiert hat.
Hervorragende Ausstellung! Sollte überall gezeigt werden (im öffentlichen Raum, in Schulen, Rathäusern, Banken, usw…) — Siehe auch unsere (bundesweite) Petition:
Petition – Mehr Artenvielfalt im öffentlichen Grün:
https://www.petition-mehr-artenvielfalt-im-oeffentlichen-gruen.de/
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Freundliche Grüße, Jürgen Kruse, Arbeitskreis Heckenschutz, http://www.hecke.wg.vu und: http://www.heckenschutz.de