Schilfglasflügelzikade: Immer mehr „Notfallpestizid“ ohne Notfall

Zuckerrübe. Foto: Leopictures, Pixabay
Zuckerrübe. Foto: Leopictures, Pixabay

Brache zu 80 effektiv – Acetaprimid nicht

Berufsimkerbund und BUND reicht es. Sie haben jetzt Ministerin Kaniber angeschrieben. Denn das Nervengift Acetaprimid wird über Notfallzulassungen immer weiter gespritzt, obwohl seit Jahren eine viel effektivere und völlig giftfreie Maßnahme bekannt ist. Und: die EU-Kommission hat gerade erst die Grenzwerte in Lebensmitteln noch strenger abgesenkt, weil die Belastungen in Salat, Kirschen, Zucchini und Spinat mittlerweile weit höher sind als gedacht. Tendenz weiter steigend!

Alzheimerpestizid als „Notfallmittel“ – Wo ist der Notfall?

Am 28. August hat der BUND zusammen mit dem Deutschen Berufs- und Erwerbsimkerbund und fünf weiteren Vereinigungen, darunter das Bündnis Neonicotinoidfreie Landwirtschaft, ein dringliches Schreiben an Staatsministerin Kaniber verschickt. Denn die zuständige Landwirtschaftsministerin kann zügig handeln und die Landwirtschaftsverwaltungen anweisen, eine Umstellung der Fruchtfolge gemeinsam mit Landwirten und Anbauverbänden schnellstmöglich zu organisieren. Derzeit wird ­– anders als in der Presse seit Monaten immer wieder behauptet – ganz ohne Not ­das Neonicotinoid Acetamiprid gegen die Schilfglasflügelzikade, über „Notfallzulassungen großflächig eingesetzt. Vor allem auf Zuckerrüben- und Kartoffelfeldern, aber auch auf Obst- und Gemüsefläche. Denn hier „hilft“ trickreich eine weitere Verordnung: Nämlich die “Zulassung für geringfügige Verwendungen“. Damit dürfen dann ganz „legal“ auch kleine Obst- und Gemüsekulturen gespritzt werden. Mittlerweile wurden in diesem Jahr 100 Zulassungen erteilt – ein trauriger Spitzenwert.

Jetzt unbestreitbar: Gefahr für Verbraucher auf dem Esstisch

Die EU musste jetzt im August 2025 die Grenzwerte für Lebensmittel deutlich senken, weil Acetamiprid in einer Vielzahl von Lebensmitteln gefunden wurde – oft weit über den bisherigen Höchstwerten. Verbraucher sind ahnungslos und abwaschen hilft auch nicht, da Neonicotinoide die ganze Pflanze durchdringen.

Polen und Slowenien: Acetaprimid im Honig

Greenpeace Polen hat aktuell nachgewiesen, dass von 48 Honigproben aus ganz Polen Acetamiprid in 25 Proben (52 %) gefunden und in 21 die zulässigen Grenzwerte überschritten wurden, so dass PAN Europe sofort ein Verbot forderte. Anstatt die Gefahr einzudämmen, hat die EU am 20. August 2025 die Höchstwerte für Acetamiprid im Honig sogar versechsfacht, und den bisherigen Wert von 0,05 mg/kg auf 0,3 mg/kg erhöht. Man kalkuliert die bekannten Überschreitungen durch die Notfallzulassungen offenbar ein und ist dabei vollkommen widersprüchlich zu den Absenkungen in anderen Lebensmitteln. Völlig absurd würde es, wenn die EU jetzt noch den brandaktuellen Antrag von Slowenien durchwinkt, und die Werte für Honig von 0,05 auf 1,0 mg/kg heraufsetzen, anstelle den Einsatz des Gifts ganz zu verbieten.

80% Wirksamkeit: Fruchtfolge schlägt Zikade

Dabei ist die Zikade alle andere als ein Notfall: Versuchsergebnisse aus der Schweiz und aus Deutschland belegen bereits seit 2021, dass sich der Ausflug der Tiere durch eine Schwarzbrache, und auch andere Fruchtfolgen, nach Rüben oder Kartoffeln um mindestens 80% verringern lässt. Keine andere Maßnahme verspricht so durchschlagenden Erfolg. Voraussetzung ist, dass es regional flächendeckend umgesetzt wird und alle Landwirte an einem Strang ziehen. Das geht nur über eine Koordination „von oben“.

Behörden handeln gegen eigene Regeln – Landwirtschaftsminister müssen handeln

Deshalb sind nun die Landwirtschaftsminister gefragt. Denn der Integrierte Pflanzenschutz schreibt vor, dass zuerst nicht-chemische Methoden vor der Spritzung von Pestiziden eingesetzt werden müssen. Das BVL widersetzt sich mit diesen Notfallzulassungen seiner eigenen Vorgabe, dass diese nur begründet sind, „wenn eine Gefahr für die Gesundheit und von Kulturpflanzen nicht anders abzuwenden“ ist. Der Brief an Ministerin Kaniber wird nicht der einzige bleiben. Aktuell zeigt uns Frankreich, dass es auch anders geht: Dort musste die Regierung nach massivem Druck von Umweltschützern und den Unterschriften von fast zwei Millionen Menschen, die geplante Wiederzulassung von Acetaprimid zurückziehen. Ein starkes Zeichen für Natur- und Verbraucherschutz.


Quellen:


Rückfragen an:

Matthias Rühl, Sprecher beim Bündnis für Neonicotinoidfreie Landwirtschaft
E-Mail: matthias.ruehl@t-online.de

Janine Fritsch, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Deutscher Berufs- und Erwerbsimkerbund
Tel: 0151 / 651 68 241
E-Mail: presse@berufsimker.de