Risiken gentechnischer Verfahren für Bienen, Imkerei, Verbraucher und Umwelt
– Stellungnahme des Berufsimkerbunds –
Eine aktuelle Studie zur Varroa-Bekämpfung mittels RNA-Interferenz (RNAi) schlägt vor, genetische Prozesse der Varroa-Milbe gezielt auszuschalten. Solche biotechnologischen Verfahren werden international zunehmend als „moderne, biologische Lösungen“ angepriesen. Doch bei genauer Betrachtung handelt es sich um Gentechnik im Bienenvolk – mit weitreichenden und bislang kaum bewerteten Risiken nicht nur für Honigbienen und Imkerei, sondern für ganze Ökosysteme.
Wirtschaftliche Abhängigkeiten und irreversible ökologische Effekte
Diese Technologien greifen tief in die Biologie des hochkomplexen Superorganismus „Bien“ ein und eröffnen gleichzeitig die Tür für Patentierung, wirtschaftliche Abhängigkeiten und schwer kontrollierbare ökologische Effekte. DBIB warnt davor, das Vorsorgeprinzip auszuhebeln.
1. Massive Eingriffe in den Superorganismus Honigbiene
Honigbienen wirken nicht als isolierte Individuen, sondern als Superorganismus mit fein abgestimmten sozialen, physiologischen und epigenetischen Mechanismen. Gentechnische Eingriffe – egal ob über RNAi oder veränderte Darmbakterien – können Auswirkungen haben auf:
- Brutentwicklung
- Pheromonhaushalt
- Verhalten und Arbeitsteilung
- Immunsystem
- Kommunikation im Volk
- Stressreaktionen und Überwinterungsfähigkeit
Diese Effekte sind wissenschaftlich kaum verstanden, da Bienen hochsensibel auf Veränderungen ihrer mikrobiellen Umgebung und Genregulation reagieren.
2. Unkontrollierbare Ausbreitung gentechnisch veränderter Organismen
Sobald gentechnisch veränderte Mikroorganismen, RNA-Moleküle oder modifizierte Genfragmente im Bienenstock eingesetzt werden, besteht das Risiko ihrer Verbreitung:
- durch Flugaktivität der Bienen
- über Driften und Räuberei
- durch Kontakt zu Wildbienen, Hummeln und anderen Insekten
- über Pflanzen, Pollen und Honigtau
Wesentlich ist: Eine Freisetzung ist irreversibel. Solche Organismen könnten sich unkontrolliert in natürlichen Bestäuberpopulationen ausbreiten.
3. Ökologische Risiken für Biodiversität und Bestäubungssysteme
Bienen sind zentrale Akteure in Ökosystemen. Eingriffe in ihre Genregulation können:
- Bestäubungsnetzwerke destabilisieren,
- Pflanzendiversität beeinflussen,
- dynamische Gleichgewichte zwischen Insektenarten verschieben,
- neue Abhängigkeiten oder Konkurrenzsituationen schaffen.
Bislang gibt es keine Langzeitstudien zu gentechnischen Eingriffen in Insektenpopulationen unter realen Umweltbedingungen.
Die ökologischen Risiken sind grundsätzlich nicht berechenbar.
4. Gefahr der Patentierung – ein massiver Eingriff in die Freiheit der Imkerei
Dies ist eines der stärksten Argumente: Gentechnisch erzeugte Merkmale, genetische Sequenzen, Mikroorganismen oder damit verbundene Verfahren sind patentierbar.
Das bedeutet:
- Bienen können über den Umweg der Gentechnik zum Teil patentiertes „Eigentum“ von Unternehmen werden.
- Freie Vermehrung, Nachzucht und Austausch von Bienenmaterial können eingeschränkt werden.
- Imker können mit Lizenzbedingungen, Meldepflichten und rechtlichen Risiken konfrontiert werden.
- Unabsichtliche „Kontamination“ eines Volkes mit patentierten Merkmalen können rechtliche Konsequenzen haben – ähnlich wie beim Saatgut.
Dies würde das bisherige System der freien, unabhängigen Imkerei in Gefahr bringen.
5. Wirtschaftliche Abhängigkeiten und Verlust der Selbstbestimmung
Wird die Varroa-Bekämpfung oder Krankheitsprävention an proprietäre Biotechnologien gekoppelt, entsteht ein Abhängigkeitsmodell:
- Kosten für Lizenzen oder wiederholte Anwendungen
- Bindung an bestimmte Anbieter
- Marktmacht und Preissetzung durch wenige Unternehmen
- Reduktion traditioneller, züchterischer und biologischer Strategien
- Gefahr, dass einfache, robuste Methoden verdrängt werden
Die Imkerei würde einen Teil ihrer Autonomie verlieren – ein Problem, das in anderen landwirtschaftlichen Bereichen bereits sichtbar geworden ist.
6. Risiken für Produktqualität, Vermarktung und Ernährungssicherheit
Sobald gentechnische Werkzeuge im Bienenvolk eingesetzt werden, stellt sich die Frage möglicher Rückstände in allen Bienenprodukten. Auch wenn Entwickler behaupten, die Verfahren seien „sicher“: Es gibt keine unabhängigen Studien, die Rückstände oder langfristige Effekte ausschließen.
Mögliche Konsequenzen:
- Verlust des Verbrauchervertrauens
- Ablehnung durch den Handel
- Ausschluss aus Exportmärkten
- Zusatzanalysen und Zertifizierungskosten
- Probleme für die Bio-Imkerei
Honig ist ein Naturprodukt – jede Nähe zu Gentechnik wirkt marktgefährdend.
7. Verlust genetischer Vielfalt und natürlicher Anpassungsfähigkeit
Wenn gentechnisch beeinflusste Linien dominieren oder mikrobielle Systeme verändert werden:
- geht regionale Anpassung verloren,
- werden lokale Ökotypen verdrängt,
- sinkt die genetische Vielfalt – die wichtigste Ressource gegen Klimastress und Krankheiten.
Homogenisierung macht Bienenvölker langfristig anfälliger und schwächt die Resilienz.
8. Rechtliche Grauzonen und enorme Haftungsrisiken
Der Einsatz gentechnischer Organismen im Bienenvolk wirft ungelöste Fragen auf:
- Wer haftet bei ökologischen Schäden?
- Wer haftet bei Honigrückständen?
- Wer haftet bei Ausbreitung in Wildbienenbestände?
- Wie soll ein Imker seine „Unschuld“ beweisen, wenn sich patentierte Elemente ungewollt verbreiten?
Imker tragen das Risiko – nicht die Entwickler der Technologie.
9. Biologische Gegenreaktionen und Resistenzbildung
Die Varroamilbe kann sich anpassen. Jede Intervention erzeugt evolutionären Druck.
Mögliche Folgen:
- Resistenzentwicklung gegen RNAi
- Verschiebung des Krankheitsspektrums
- Zunahme anderer Parasiten oder Viren
- erhöhte Instabilität des Systems
Damit ist die Gentechnik mit allen Folgen zwar irreversibel in die Natur entlassen, aber das Grundproblem dennoch nicht gelöst. Die Erfahrung zeigt: Vermeintlich „einfache“ technische Lösungen erzeugen oft neue Probleme.
Zusammenfassung und Position des DBIB
Die diskutierten biotechnologischen Verfahren greifen tief in Biologie, Ökologie und Wirtschaftlichkeit der Imkerei ein.
Sie sind:
- wissenschaftlich unzureichend erforscht
- ökologisch riskant
- rechtlich ungeklärt
- ökonomisch potenziell fatal
- und gesellschaftlich kaum akzeptiert
Der DBIB bekräftigt daher: Das Vorsorgeprinzip hat oberste Priorität.
Keine Freisetzung, keine Anwendung gentechnischer Verfahren im Bienenvolk, solange Risiken nicht verstanden, kontrollierbar und rechtlich abgesichert sind.