Auf dem Gaspedal in der Landnutzung
Alarmierende Ergebnisse für Insekten zeigen aktuell zwei Studien: An der Universität Hohenheim wurde die Wirkung des einzigen in der EU im Freiland noch eingesetzten Neonicotinoids auf besonders empfindliche Weichwanzen untersucht. Und: Die Experten um die berühmte Krefelder Insektenstudie bestätigen auch 8 Jahre nach ihrer ersten Untersuchung den weiter rückläufigen Trend. Doch Maßnahmen zur Pestizidreduktion werden immer wieder aufgeschoben oder einkassiert

Die Ergebnisse sind deutlich: „Das Insektizid Acetamiprid ist für bestimmte Insekten über 11.000-mal giftiger, als die vorgeschriebenen Empfindlichkeitstests, zum Beispiel an Honigbienen, vermuten lassen“ schreibt die Uni Hohenheim in ihrer Pressemeldung. Als Nicht-Zielinsekten reagierten alle untersuchten Weichwanzenarten extrem empfindlich auf das immer noch genutzte Neonikotinoid. Nach nur zwei Tagen in Flächen, die Feldränder simulieren, sank ihr Vorkommen um bis zu 92 Prozent. Und das obwohl die Pestizidkonzentrationen an Feldrändern im Vergleich zur Ausbringungsfläche bereits auf 30 bis 58 Prozent deutlich absinkt. Und dennoch starben fast alle Wanzen. Der Deutsche Berufs- und Erwerbsimkerbund fordert, endlich die Bremse beim Pestizideinsatz einzulegen. „Es liegen genügend Zahlen vor. Und dennoch werden die versprochenen Schutzmaßnahmen nicht umgesetzt oder kassiert“, so die Verbandspräsidentin Annette Seehaus-Arnold.
Gefahr für Lebensräume und das biologische Gleichgewicht
„Insektizide sollen Nützlinge möglichst schonen, deshalb wurden Neonikotinoide zum Beispiel auch an Honigbienen getestet“, erläutert Doktorand Jan Erik Sedlmeier. Die jetzigen Versuche zeigen nicht nur, dass das Acetamiprid für manche Weichwanzen über 11.000-mal toxischer ist als für Honigbienen, sondern auch, wie extrem unterschiedlich empfindlich verschiedene Arten und verschiedene Individuen, z.B. Männchen und Weibchen, auf das Gift reagieren. Selbst ohne direkten Kontakt mit dem Insektizid starben viele Tiere, wenn die Pflanzen zwei Tage zuvor behandelt wurden. Rückstände konnten bis zu 30 Tage nach Anwendung im Pflanzengewebe nachgewiesen werden. Wenn Nützlinge und Nicht-Zielinsekten in großen Mengen durch Pflanzenschutzmittel verschwinden, hat das viele Folgen: Die Insektenmasse insgesamt sinkt und damit das Nahrungsangebot für viele andere Tiere wie Vögel. Die Bestäubung vieler Wild- und Nutzpflanzen durch diese Insekten fällt weg. Denn, an was viele nicht denken: Auch Wanzen, genau wie Schmetterlinge, Schwebfliegen und Käfer, tragen zur Bestäubung bei. Auch verändert sich die Zusammensetzung der Insektengemeinschaften, wenn insektizidtolerantere Arten mit der Zeit dominieren und das biologische Gleichgewicht zwischen Räubern und Schädlingen sich verändert. Einige Weichwanzen sind ausgesprochene Nützlinge, die kleinere Schädlinge wie Blattläuse und Raupen fressen.

Nicht ablenken von den Pestiziden
Zum Ergebnis aus Hohenheim passt auch die derzeit laufende Weiterführung der Krefelder Studie aus dem Jahr 2017. Die Forscher des Krefelder Entomologischen Vereins sehen auch mit ihren aktuellen Daten, in die sie über 600 neue Untersuchungsstandorte einbezogen haben, keine Hinweise auf eine Erholung in den letzten Jahren. Im Gegenteil: der Einbruch vieler Insektenpopulationen setzt sich fort. Auch sei daran nicht das Wetter schuld, wie manche Forscher in letzter Zeit behauptet hatten. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung vom 11. März 2025 erklärt Thomas Hörren, Vorsitzender des Entomologischen Vereins: „1990 lagen wir noch bei etwa zehn Gramm Insekten pro Tag und pro Falle. Heute sind es im Mittel gerade noch 1,3 Gramm. Der Trend scheint auch nicht nur regional begrenzt zu sein“, denn in der neuen Untersuchung wurde die Region von zwei auf elf Bundesländer ausgeweitet.
Auf dem Gaspedal in der Landnutzung mit Abdrift in Naturschutzgebiete
„Wir stehen nach wie vor auf dem Gaspedal in der Landnutzung“, sagt auch Biologe Prof. Christoph Scherber, in einem aktuellen Artikel im Magazin Spektrum vom 19.3.25. Er leitet das „Zentrum für Biodiversitätsmonitoring“ am Leibniz-Institut, das infolge der Krefeld-1 Studie gegründet wurde. Professor Scherber nennt auch die hinreichend bekannten Treiber des Insektensterbens: „die Folgen der Flurbereinigungen, der Verlust von Feldrändern und Brachflächen sowie Kunstdünger und Gifte gegen Insekten, unerwünschte Kräuter und Pilze“. Massiv ist auch die Abdrift von Pestiziden aus Landwirtschaftsflächen bis in die Kernzonen von Naturschutzgebieten. Darauf machte bereits letztes Jahr der Imkerverband Rheinland-Pfalz immer wieder aufmerksam.
Politik kassiert eigene Versprechen und Ziele
Die Politik reagierte bisher nicht. Auch das ursprüngliche ehrgeizige Ziel aus dem Jahr 2022, den Einsatz von Pestiziden in der EU bis 2030 zu halbieren, wurde unter dem Druck von Bauernprotesten 2024 von Ursula von der Leyen kassiert und verschoben. Mittlerweile ist der Vorschlag endgültig vom Tisch, nach Mitteilung von EU-Agrarkommissar Christophe Hansen im Februar.
Maßnahmen und Vorschläge liegen vor
Maßnahmen, die von den Forschern vorgeschlagen werden, und die jederzeit umsetzbar wären:
- Reform der aktuelle Risikobewertung von Pestiziden in Europa
- Anhebung des bisherigen Unsicherheitsfaktors in Tests von 10 auf mindestens 1.000
- Verstärkter Schutz von Feldrändern, um das ökologische Gleichgewicht und Biodiversität langfristig zu sichern
- Pufferzonen, in denen nicht gespritzt wird
- Strategien und Auflagen, wie in der Nähe und innerhalb von Naturschutzgebieten Landwirtschaft betrieben wird
Anmerkung:
Das Neonocotinoid Acetamiprid wird in Feldkulturen wie Raps und Kartoffeln, in Obstgärten, im Weinbau und in der Blumenzucht insbesondere gegen beißend-saugende Schädlinge gesprüht. Als Nervengift wirkt es als Kontakt- und systemisches Insektizid. Es wird von Pflanzen aufgenommen und im Gewebe verteilt. Pflanzenfressende Insekten nehmen das Gift mit der Nahrung auf.
Quellen und weiterführende Links:
- Universität Hohenheim, Pressemeldung, : https://www.uni-hohenheim.de/pressemitteilung?tx_ttnews%5Btt_news%5D=65287&cHash=7b13424703a39312465272f0bdde1ce6
- Originalstudie: Sedlmeier J.E., Grass I., Bendalam P., et al.: Neonicotinoid insecticides can pose a severe threat to grassland plant bug communities. Communications Earth & Environment org/10.1038/s43247-025-02065-y
- Streit um die Krefelder Studie, Spektrum.de: https://www.spektrum.de/news/insektensterben-wir-sind-immer-noch-bei-stufe-null/2257721
- SZ-Interview zur Krefelder Studie: https://www.sueddeutsche.de/wissen/insektensterben-krefeld-forscher-trendwende-li.3215082
- Zentrum für Biodiversitätsmonitoring: https://leibniz-lib.de/de/forschung/forschungszentren/zentrum-fuer-biodiversitaetsmonitoring-und-naturschutzforschung-zbm.html
- Pestizide in Naturschutzgebieten, Pressemeldung Imkerverband RLP: https://www.imkerverband-rlp.de/umweltschutz-ade-ministerium-missachtet-europarecht-gefahr-fuer-unsere-naturschutzgebiete/
- Reduktion von Pestiziden ist vom Tisch, EU-Landwirtschaftskommissar, 20.2.2025: https://de.euronews.com/my-europe/2025/02/20/eu-landwirtschaftskommissar-reduktion-von-pestiziden-ist-vom-tisch
Mehr Infos: berufsimker.de
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Deutscher Berufs- und Erwerbsimkerbund e. V./ Janine Fritsch
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