Offener Brief an Ministerpräsident Söder

von DBIB und Aurelia Stiftung

Haltung der Bayerischen Staatsregierung zur „Neuen Gentechnologie“ auf Bayerns Äckern

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,

die Bayerische Staatsregierung weiß, dass „der weit überwiegende Teil der Bevölkerung“ die Grüne Gentechnik ablehnt und keine gentechnisch veränderten Pflanzen auf Bayerns Feldern will und dass „Grüne Gentechnik in der Landwirtschaft mit den empfindlichen Naturräumen und kleinteiligen Agrarstrukturen in Bayern nicht vereinbar“ ist.1 Der Deutsche Berufs und Erwerbs Imker Bund e. V. (DBIB) als Lobby der erwerbsorientierten Imkerinnen und Imker und die Aurelia Stiftung als unabhängige Anwältin der Bienen begrüßen diese klare Haltung der von Ihnen geführten Bayerischen Staatsregierung zur Grünen Gentechnik!

Die bayerischen Imker:innen beobachten mit großer Sorge die Pläne der EU-Kommission zur Deregulierung der Gesetzgebung für Pflanzen aus neuer Gentechnik (NGT). Damit sollen Risikoprüfung und Kennzeichnungspflicht für den Großteil aller Gentechnik-Produkte abgeschafft werden. Den Menschen würde damit die Freiheit genommen, selbst zu entscheiden, ob sie Gentechnik auf ihrem Teller haben wollen oder nicht. Eine skandalöse Entmündigung der Verbraucher:innen! Grüne Gentechnik ohne Risikoprüfung, wie sie die EU-Kommission anstrebt, ist weder mit empfindlichen Naturräumen vereinbar, noch mit der Imkerei, dem offensten aller landwirtschaftlichen Produktionssysteme.

Die EU-Kommission beabsichtigt, die Mitgliedstaaten zu verpflichten, nicht näher definierte „Maßnahmen zur Koexistenz“ zu ergreifen, während sie ihnen keine Möglichkeit geben will, Gentechnik-Felder als solche auszuweisen. Wie aber sollen Imker:innen, nicht zuletzt Bio-Imker:innen, gentechnikfreien Honig produzieren, wenn sie nicht einmal wissen, wo sich Felder mit Gentechnik befinden? Bio-Imker:innen sind auch künftig gesetzlich verpflichtet, gentechnikfrei zu produzieren. In der Praxis allerdings wird es unmöglich sein, gentechnikfreien Honig zu produzieren.

Während Patentinhaber:innen und Vermarkter:innen von NGT-Pflanzen von der Deregulierung profitieren würden, müssten die gentechnikfreie Wirtschaft und die Allgemeinheit die Kosten und die Risiken von – nicht risikogeprüften – NGT-Produkten tragen. Damit wäre das Verursacherprinzip außer Kraft gesetzt. Die ökologische Bienenhaltung, für die Bayern gerade Fördermaßnahmen aufgelegt hat, stünde vor dem Aus, wenn sie die Last für eine gentechnikfreie Produktion tragen müsste.

Ein ungelöstes Problem ist auch, dass die Genschere CRISPR/Cas9 zunehmend genutzt wird, um Patente auf natürlicherweise vorkommende Genvarianten durchzusetzen. Solche „Crispr-Patente“ umgehen damit das Züchterprivileg und behindern so schon heute den züchterischen Fortschritt. Deshalb spricht sich etwa der Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter e. V. (BDP) gegen die Patentierbarkeit von Gensequenzen aus, die in der Natur vorkommen.

Der geplante Verzicht auf die bislang geltende Einzelfall-Umweltverträglichkeitsprüfung für Gentechnik-Pflanzen wäre ein Verstoß gegen das Vorsorgeprinzip der Europäischen Union. Zudem würde die Freisetzung einer großen Zahl nicht risikogeprüfter gentechnisch veränderter Pflanzen mit neuen Eigenschaften für Bienen und andere Insekten ein nicht kalkulierbares Risiko bedeuten. Um nur ein Beispiel zu nennen: Ein veränderter Ölgehalt bei Leindotter kann sich auf Bestäuber und auf die Nahrungsnetze rund um die Pflanze auswirken.2 Durch Pollenflug können neue, für Bestäuber schädliche, Veranlagungen auch in verwandte Arten und in Wildpopulationen auskreuzen. Und schon mit der Veränderung eines einzigen Schlüsselgens lässt sich ein ganzes Ökosystem beeinflussen.3

Auch ohne die Einfügung artfremder Gene lassen sich mit Hilfe von Genscheren – beabsichtigt oder unbeabsichtigt – Veränderungen auslösen, die deutlich über die natürlichen biologischen Grenzen hinausgehen, mit denen sich Pflanzen in der Natur und in der herkömmlichen Züchtung schützen.4 Langzeiteffekte und Wechselwirkungen zwischen einer großen Zahl gentechnisch veränderter Pflanzen mit neuen Eigenschaften und deren Auswirkungen auf Bestäuber müssen daher dringend berücksichtigt werden, weil sich solche Effekte in der Natur aufsummieren können.5

Insgesamt ist die von der EU-Kommission betriebene Initiative für eine Gentechnik ohne Risikoprüfung und Kennzeichnungspflicht ein unverantwortlicher Frontalangriff auf den Verbraucherschutz und auf die Wahlfreiheit der Bürger:innen. 89 Prozent der Menschen in Deutschland sind der Meinung, dass mögliche Auswirkungen auf die Natur immer untersucht werden sollten, wenn Pflanzen mit den neuen Verfahren gentechnisch verändert werden.6 Den Wunsch der Bürger:innen, Biene, Mensch und Natur durch eine sorgfältige Gentechnik-Risikoprüfung und eine eindeutige Kennzeichnung zu schützen, tritt die EUKommission gerade mit Füßen. Sollte sich diese Ignoranz gegenüber dem Bürgerwillen durchsetzen, wird es Politikverdrossenheit und Populismus weiter fördern.

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Söder,

wir bitten Sie im Interesse der gentechnikfreien bayerischen Landwirtschaft, der bayerischen Imker:innen und aller bayerischen Honig- und Wildbienen, Ihren Einfluss auf Bundesebene für eine klare Regulierung der Neuen Gentechnik auf EU-Ebene zu nutzen: Zulassungsverfahren mit Risikoprüfung und Kennzeichnungspflicht müssen auch für alle mit Hilfe neuer gentechnologischer Verfahren erzeugter Pflanzen und Tiere gelten.

Wir erlauben uns, dieses Schreiben der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen und würden uns über eine zeitnahe Antwort sehr freuen.

Mit freundlichen Grüßen

Annette Seehaus-Arnold – Präsidentin Deutscher Berufs und Erwerbs Imker Bund e. V. (DBIB)

Matthias Wolfschmidt – Vorstand Aurelia Stiftung

Berlin und Burglauer, den 11. September 2023

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  1. https://www.stmuv.bayern.de/themen/gentechnik/bayern/gentechnikfreies_bayern.htm
  2. https://enveurope.springeropen.com/counter/pdf/10.1186/s1230202100482pdf
  3. https://www.news.uzh.ch/de/articles/media/2022/Schl%c3%bcsselgen.html
  4. ;; https://www.mpg.de/18127703/0111entweinschrittvorauswiepflanzengefaehrlichemutationenvermeiden151730x
  5. https://www.bmuv.de/service/fragenundantwortenfaq/
  6. https://www.bfn.de/sites/default/files/202303/2023naturbewusstsein2021bfn.pdf#page=72  

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